Diese Reflektionen zu Rio+20 sind -in leicht editierter Fassung - in der Politischen Ökologie erschienen:
Freitag, 5. Oktober 2012
Neue Mächte, alte Blockaden - eine Einschätzung von Rio+20
Vieles sprach von Anfang an dafür, dass der Rio+20 Gipfel,
der vom 20.-22. Juni 2012 in Rio de Janeiro stattfand, nicht die notwenigen
Veränderungen für Mensch und Umwelt erreichen würden, die angesichts steigender
Treibhausgasemissionen, wachsender Ungleichheit und 1 Milliarde hungernder
Menschen so dringend notwenig wären. Es war klar, dass Obama sich kurz vor
den Wahlen zu nichts international verpflichtet. Vor dem Hintergrund der
Finanz- und Wirtschaftskrise hielten sich viele Staaten für unfähig, in die
Zukunft zu investieren (auch wenn dies real kontraproduktiv ist). Und nachdem
gescheiterten Klimagipfel von Kopenhagen 2009 war die Heilserwartung an
UN-Großveranstaltungen von Anfang an gedämpft. Die Tatsache, dass die
Versprechen von Rio von 1992 gebrochen worden waren, trug das Übrige dazu bei,
dass Zynismus von Anfang an den Rio+20 Prozess begleitete. Das UNO-System tat
was es konnte um Rio+20 trotzdem prominent zu machen. Fast jede
UNO-Organisiation veröffentlichte zu den zentralen Themen – die Grüne
Wirtschaft (im Kontext der nachhaltigen Entwicklung und Armutsbekämpfung) und
die international Governance für nachhaltige Entwicklung – Berichte. UN
Generalsekretär Ban Ki-moon erschien wenige Wochen vor dem Gipfel persönlich –
was durchaus unüblich ist – bei “informellen” Verhandlungen (also Verhandlungen
auf Bürokratenebene, nicht auf der Ebene von Ministern oder der hohen Politik).
Er sprach den Verhandlern ins Gewissen
und bat sie doch noch zu konkreten Ergebnissen zu kommen. Kurz vor Rio began
aber auch Ban Ki-moon bereits indirket das Scheitern von Rio einzugestehen. Er
schrieb in einem Zeitunsgartikel, Rio+20 sei vor allem ein Prozess. Wichtig
sei, was Rio+20 in Gang setze, nicht was der Gipfel selber entscheidet …
Entschieden hat der Gipfel in der Tat herzlich wenig. Greenpeace
sprach von einem “episches Versagen” und von einer Bankrotterklärung der Regierungen. Der beschlossene Text zum angeblich zentralen Thema der
“Grünen Wirtschaft” ist zum Beispiel fast aussagelos. Jedes Land kann sich
selber ausdenken, was es für eine “Grüne Wirtschaft” hält und dann so tun, als
wäre es ein Fortschritt, wenn sie ihre – progressive oder perverse - Definition
in die Tat umsetzen. Korea wird also z.B. sich bei ihrem geplanten Ausbau der
Atomenergie damit rühmen können, die bei Rio+20 beschlossene “Grüne Wirtschaft”
voranzutreiben. In zentralen Fragen – der Bepreisung von Umweltschäden, etwa –
ist die wahrlich auch nicht perfekte – Agenda 21 von vor 20 Jahren konkreter
und weitergehender als das Abschlussdokument von Rio 2012 (das zu allem
Überfluss auch noch den pompösen Namen “Die Zukunft, die wir wollen”, trägt).
Die Regierungen betonten, dass mit den “Sustainable
Development Goals” ganz neue Zielmargen für die Staatengemeinschaft auf den Weg
gebracht wurden, die post 2015 für alle Staaten gelten werden. Diese Ziele sind
aber in jedem Fall nur “aspirational” – also nicht verpflichtend – und Rio
konnte sich nur auf einen komplizerten Prozess der weiteren Debatte einigen –
nicht auf Themen, geschweige denn Taten. Bleibt der Bereich der Governance. Die
Kommission für nachhaltige Entwicklung, die 1992 zur Überprüfung der Umsetzung
der Rio-Beschlüsse gegründet worden war, wurde 20 Jahre später in Rio wieder
beerdigt. Kaum einer wird der Kommission eine Träne nachweinen. Ob das “High
Level Forum”, das sie ersetzen soll, allerdings auch nur ein Iota mehr Macht
oder Einfluss auf die globale Politik eintfalten wird, darf stark bezweifelt
werden. Das UN Umweltprogramm, UNEP, wurde
wieder nicht zu einer UN Umweltorganisation aufgewertet (eine
Diskussion, die schon viele Jahrzehnte andauert). Immerhin ging UNEP aber – im
Gegensatz zum Rio+10 Gipfel in Johannesburg vor 10 Jahren - nicht komplett leer
aus. UNEP, die bisher ihr Budget jedes Jahr neu erbetteln müssen, da Zahlungen
an sie freiwillig sind, bekommen z.B. zum ersten Mal Zugang zum “core budget”
der UNO, also zu permanent verfügbaren Ressourcen. Auch wird das Mandat die
UNO-Umweltarbeit zu koordinieren gestärkt. Für einen Weltgipfel war aber auch
dieses Ergebnis unzureichend, ja unwürdig.
Wie kam es also zu diesem mageren Ergebnis? Durch eine
Allianz der Unwilligen, die seit der Veröffentlichung des sogenannten “Zero
Drafts” des Verhandlungsdokuments im Januar, jegliche Ambition aus dem Text zu
entfernen suchte. Angeführt wurde diese Allianz von den USA und Kanada. Obamas
USA war nicht weniger negativ und verhinderte nich weniger brutal alle
mulitlateralen Vereinbarungen wie Bush 2002 oder Bush Senior 1992. Leider
gehörte aber auch die G77 – die Allianz der Entwicklungsländer – bei
erschreckend vielen Themen zu den Bremsern. Teilweise lag dieser Blockadehaltung
verständliche Wut auf die gebrochenen Versprechen der Industrieländer seit 1992
zu Grunde. Allzu oft aber sprachen durch die Verhandler der G77 - genau wie
durch die der USA, Kanadas, Russlands und andere – die kurzfristigen Interessen
der Industrien, die vom zerstörerischen Status Quo profitieren. Venezuela,
z.B., stellte immer wieder klar, dass fossile Energien ein Segen und natürlich
Teil einer nachhaltigen Entwicklung seien. Selbst Kanada, die mehr oder weniger
offen als verlängerter Arm ihrer Teersande-Ölindustrie agierten, konnte diesen
fossilen Enthusiasmus nicht toppen.
Beim Thema Unternehmensverantwortung war die Art und Weise
wie – auch - die G77 für die kurzfristien Interessen ihrer
Verschmutzerindustrien einstand besonders deutlich. Vor 10 Jahren waren es bei
Rio+10 vor allem die USA, die sich einer verbindlichen
Unternehmensverantwortung verweigerten. Die G77 forderte globale Abkommen und
Regeln, für die Rio+10 auch einen generellen Auftrag erteilt (der allerdings nie umgesetzt wurde). Damals waren aber auch fast noch keine “Global
Players” aus der G77. Heute sind immerhin 15% der Fortune 500 Firmen aus den
BRIC Ländern (Brasilien, Indien, China und Russland – Russland ist allerdings
kein G77 Land). Vielleicht kein Wunder, dass nun die G77 gemeinsam mit USA,
Kanda und Co. das Wort “accountability” aus dem Abschlussdokument entfernte …
In den Verhandlungen war die Verschiebung der
Machtverhältnisse seit 1992 durch die rapide Entwicklung der Schwellenländer
spürbar. Brasilien, insbesondere, agierte sehr selbstbewusst (wenn auch lange
erschreckend unkoordiniert). Die Umweltministerin Texeira kommentierte das
Fernbleiben von Obama, Merkel oder Cameron z.B. mit den Worten, dass die
Staatschefs aller schnell wachsenden Ökonomien in Rio anwesend seien. China,
Indien, Südafrika etc. sendeten in der Tat alle ihre Staats- und
regierungschefs – wie etwa 100 andere Nationen. Brasilien wagte es auch in
einer Nacht und Nebelaktion einen Text durchzudrücken von dem sie wussten, dass
er niemand wirklich begeisterte. Sie waren sich aber auch sicher, dass es
niemand wagen würde, ihn aufzukündigen und damit Brasilien massiv zu
brüskieren. Der (diplomatisch durchaus brilliante) Schachzug ging aber auf –
und wurde zur brasilianischen Machtdemonstration, die 1992 nich undenkbar
gewesen wäre. Fast alle, die den bereits am Dienstag vor dem eigentlichen
Gipfel festgezurrten Text zunächst noch kritisierten und Nachverhandlungen
forderten, mussten öffentlich Kreide fressen und gaben am Ende glühende
Bekenntnisse zu “Brasiliens Führung” ab. So z.B. Kenia, die eigentlich gefodert
hatten, dass sich die Regierungschefs doch noch zur Umwandlung von UNEP in eine
UN-Organisation bekennen, die aber im Abschlussplenum den Verhandlungstext und
Brasilien in den höchsten Tönen lobten. Oder auch Ban Ki-moon, der am Dienstag
den Text noch wenig ambitioniert fand, am Freitag aber Brasilien für die
hervorragende Grundlage für eine nachhhaltige Entwicklung dankte … Die EU
wiederum, konnte den Text deshalb nicht aufkündigen, da sie nichts aber auch
garnichts anzubieten hatten. Kein Geld, keine Verpflichtungen. Sie spielten
ohne Ball und sahen dementsprechend hilflos aus …
Die Macht der Schwellenländer war also greifbar. Teilweise war
sie auch positiv. Brasilien und China verkündeten z.B. beide zusätzliche ca. 6
Millionen EUR für UNEP in ihren Reden – ein Signal, dass sie UNEP schätzen und
vielleicht auch die Anfänge einer umweltpolitischen Geopolitik dieser neuen
Mächte (auch wenn die Summen lächerlich sind in Anbetracht der Summen, die z.B.
Brasilien an den Internationalen Währungsfond, IWF zahlt)? In den formalen
Verhandlungen sprachen Brasilien, China oder Südafrika allerdings fast nie, sondern
es sprach von Januar an fast immer nur die G77 als Gruppe. Dies führte zu einer
Politik des kleinsten gemeinsamen Nenners und hinderte kleinere Staatengruppen
daran eigene Impulse zu setzen.
Während den Vorverhandlungen 2011 kamen im Kontrast noch
regionale Gruppierungen zu Wort und konnten Themen setzen. So konnte es z.B.
gelingen, das Thema des Schutzes der Hohen See auf die Tagesordnung von Rio+20
zu setzen. Eine breite Allianz von
Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Staaten - insbesondere die pazifischen
Staaten, aber auch die EU, Brasilien oder Südafrika – wollten von Rio+20 das
politische Signal, dass die Hohe See - 64% unserer Meere weltweit – nicht mehr ohne
Begrenzung ausgebeutet werden können und das es ein Abkommen geben muss, um Schutzgebiete
auf Hoher See ausweisen zu können.
Obwohl eine klare Mehrheit der Staaten diesen Schritt
vorwärts in Rio wollten, kam es dazu nicht. Da – erneut - Venezuela eine
gemeinsame (progressive) Haltung der G77 zum Hochseeschutz blockierte, drohte
das Thema zwischen Januar und Juni sogar immer wieder von der Gipfelagenda zu
verschwinden. Die G77 schwieg, da es keinen Konsens gab, monatelang zum Thema,
obwohl vielen G77-Staaten gerade dieses Thema wichtig war. Erst spat traute
sich eine Allianz – unter der Führung Südafrikas – doch noch einen Vorstoß zu
machen. Es war also schon ein Erfolg, dass der Schutz der Hohen See in Rio überhaupt
noch Thema war- und einige Prominenz erlangte. In der Tat war die Hohe See die
letzte strittige Frage, die in der Nacht zum Dienstag noch verhandelt wurde.
Eine unheilige Allianz aus USA und Venezuela - unterstützt von Kanada und
Russland – blockierte am Schluss eine positive Einigung. Viele Regierungschefs
nahmen sich dieses Themas aber in ihren Reden an. Die braslianische Präsidentin
Dilma erklärte sogar vollmundig, man werde ein Abkommen zum Schutz der hohen
See verhandeln (sie versuchte also den schlechten Kompromisstext des
Abschlussdokumentes als lediglich eine Vertagung zu interpretieren). Die
australische Premierministerin erklärte zum ersten Mal öffentlich Australiens
Unterstützung für ein Hochseeschutzabkommen. Das Thema hatte also an
politischer Bedeutung gewonnen. Mehr war gegen die Allianz der Unwilligen, die
die Meere weiter für kurzfristigen Profit ausbeuten wollen, nicht zu erreichen.
Rio+20 scheiterte an der Tatsache, dass zuviele Regierungen
aus Nord und Süd als Handlanger mächtiger Interessen agierten, statt für die
Mehrheit der Menschen zu regieren. Da dies absehbar war, nutzte die Zivilgesellschaft
Rio+20 vor allem dazu, gegen diese Profiteure zu mobilisieren und durch den
“People´s Summit” dem offiziellen Gipfel etwas entgegenzusetzen. Greenpeace
Brasilien initierte z.B. ein “Bürgergesetz”, das die Entwaldung in Brasilien
bis 2015 beenden soll. Wenn 1,4 Million Brasilianer diese Gesetzesinitiative
unterstützen muss das braslianischen Parlament darüber abstimmen. Rio+20 war
der Anlass für die Landlosenbewegung (MST) genauso wie die Katholische Kirche
sich dieser Gesetzesinitiative anschlossen. Global startete Greenpeace in Rio
eine Kampagne zum Schutz der Arktis: Die Arktis soll für Ölfirmen und
industrielle Fischerei tabu werden. Die Generalversammlung der UNO soll das
beschliessen.
Nach dem epischen Scheitern von Rio+20 werden natürlich auch
wieder Stimmen laut, die alle UN-Prozesse verdammen oder ignorieren wollen.
Wenn Frust - und nicht eine generelle Ablehnung globaler Regulierung – die
Grundlage dieser Forderung ist, habe ich großes emotionales Verständnis. UN-
Konferenzen bringen nicht das was sie bringen müßten – und die Greenpeace
Delegation war deswegen bewußt klein. Verbindliche soziale und ökologischen globale
Regeln bleiben in einer globalisierten Welt allerdings dinrgend notwendig. Und Gipfel
wie Rio+20 bringen zumindest Aufmerksamkeit dafür, das suns die Regulierungen,
die wir brauchen, fehlen (z.B. für die 64% unserer Meere, die als Hohe See
ungeschützt sind). Die Zivilgesellschaft muss deshalb das Scheitern von Rio vor
allem als eine Aufforderung sehen, den Druck auf die Mächtigen zu erhöhen. Wir
müssen selber mächtig genug werden, um die Mächtigen zu zwingen für die
Mehrheit, nicht kurzfristige Partikularinteressen, zu handeln. Die
Arktiskampagne ist ein erster Versuch diese Einsicht in die Tat umzusetzen.
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