Donnerstag, 7. Juli 2016
Zivilgesellschaft in Zeiten der corporate capture
Dies ist mein Beitrag zu der Broschüre "Wirtschaft Macht Politik", die an Fallbeispielen den privatwirtschaftlichen Einfluss auf internationale Politikprozesses analysiert. Ich empfehle die Lektüre der gesamten Broschüre!
Das Verhältnis
von Wirtschaft, Macht und Politik ist vielschichtig und lässt sich weder
schablonenhaft analysieren noch beeinflussen. Es ist ein wichtiger Beitrag der
hier präsentierten Fallstudien dies aufzuzeigen, den Blick auf „Mischakteure“
wie philanthropische Stiftungen zu wenden – und doch, bei aller
Vielschichtigkeit, auch klar zu machen, dass der wachsende Einfluss von
Unternehmen auf globale Politik ein unbestreitbarer Trend ist, dem wir uns
stellen müssen.
Einige
entscheidenden Aspekte benötigen noch der zusätzlichen Analyse – z.B. die
besondere Rolle von staatlich kontrollierten Unternehmen. Diese spielen
insbesondere in Ländern wie China, Brasilien, Russland oder Südafrika und in
Sektoren wie der Energiepolitik eine so bedeutende Rolle, dass eine nachhaltige
Entwicklung global nicht denkbar ist, ohne diese Akteure zu beeinflussen.
Staatlich kontrollierte Unternehmen machen aber die Unterscheidung zwischen corporate power und „staatlicher Macht“
(noch) schwieriger. Wenn die russische Regierung Politik im Interesse von
Gazprom macht, ist das ein Fall von corporate
capture – also illegitimem unternehmerischem Einfluss auf staatliches
Handeln? Oder muss man diesen Tatbestand – aufgrund der faktischen
Deckungsgleichheit der Akteure - anders beschreiben? Im Gegenzug: sind
Investitionen von Gazprom wirtschaftlich zu bewerten oder immer auch als
Ausdruck russischen geopolitischen Handelns?
Gerade da die
Grenzen zwischen Politik, Staat und Wirtschaft fließend sind, müssen wir uns
mit „Elitemilieus“ beschäftigen. Leider sind die dominanten Ideen der globalen
Elite(n) weit entfernt von einer fairen und nachhaltigen Entwicklung (auch wenn
der Klimawandel als Gefahr heute weithin akzeptiert ist …). So kann man
beispielsweise in vielen Ländern beobachten, wie die dortige Elite auf
gigantische Infrastrukturprojekte fixiert ist - und dies unabhängig von der
politischen Ausrichtung. Ecuador, Venezuela oder Brasilien setzen genauso auf
Pipelines oder Megastaudämme wie Modis Indien. Die Auswirkungen sind für Indigene
Völker, Menschenrechte und die Umwelt gleichermaßen katastrophal.
Es gilt deshalb
das Narrativ der globalen Elite weg von der Gigantomanie hin zu einer am
Menschen orientierten Entwicklung zu bewegen. Das wird nicht einfach – aber
dass es doch möglich ist, zeigt die Geschichte des Klimawandels. Die
zivilgesellschaftlichen Warnungen von vor einigen Jahrzehnten sind heute in der
breiten Gesellschaft hegemonial verankert. Trotz der Proteste einiger
US-Republikaner und des Agierens mancher Klimaskeptiker ist die Notwendigkeit,
das Klima zu schützen, heute Teil des Narrativ der globalen Elite. Das war auch
der Grund, warum eine Einigung auf ein neues Klimaabkommen in Paris im Dezember
2015 möglich war. Einige Gigantomanien, wie Großstaudämme, werden sogar bewusst
von ihren Befürwortern als klimafreundlich beschrieben, da sie wissen, dass
dies die Akzeptanz – auch bei den Geldgebern – erhöht. Trotz solcher
Perversionen macht mir das Beispiel Mut. Die Zivilgesellschaft hat durchaus die
Kraft das globale Narrativ zu verändern. Diese Macht sollten wir aktiv zu
nutzen versuchen, statt uns (nur) an Einzelthemen abzuarbeiten.
Das ist aber
nicht einfach, in einer Welt in der wir uns - aus guten Gründen - oft in
Widersprüche verwickeln. In einer Welt, in der mehrere Dutzend private
Unternehmen reicher sind als viele Staaten, wird es für die Zivilgesellschaft
immer attraktiver, ihre Ziele durch direkte Einflussnahme auf einzelne Konzerne
durchzusetzen. Wenn Greenpeace in den USA in den letzten Jahren stärker darauf
setzte, Supermärkte oder Konzernriesen wie Kimberly-Clark zu beeinflussen,
statt den US-Kongress, überrascht das kaum jemanden, der den US-Kongress kennt.
Aber der Trend ist global. Und logisch: Wenn Konzerne mehr Macht haben, kann
man durch das Verändern von Konzernhandeln auch die Welt mehr verändern. In einer Welt, in der z.B. wenige Konzerne große
Teile unserer Nahrungskette kontrollieren, kann man die Zukunft unseres Essens
scheinbar am leichtesten beeinflussen, indem man sich genau auf diese Akteure
konzentriert. Wenn die Zivilgesellschaft aber deshalb zunehmend Konzerne statt
Staaten als Akteure und Gegenüber in den Mittelpunkt stellt, stärkt genau dies
indirekt (und oft unbeabsichtigt) die Dominanz der Konzerne weiter.
All dies
geschieht in einem Kontext, in dem die Zivilgesellschaft und die Wirtschaft oft
nicht eindeutig voneinander zu trennen sind, da Konzerne wie Unilever aktiv
Lobbyarbeit bei Klimagipfeln betreiben, anerkannte Wirtschaftsbosse wie Bill
Gates oder Mark Zuckerberg sich selbst als Philanthropen und Weltverbesserer
inszenieren und viele Nichtregierungsorganisationen direkt von Konzernen
finanziert werden. Schaffen es in einem solchen Kontext wenigstens kritische
zivilgesellschaftliche Organisationen, sich themenübergreifend zusammen zu tun
und z.B. die Arbeit einer Gates Foundation kritisch unter die Lupe zu nehmen?
Ich würde es mir wünschen.
Mut macht das
breite Bündnis gegen TTIP, das von kleinen und mittleren Unternehmen über
Gewerkschaften bis hin zu radikalen Umweltschützern reicht. Vor allem macht es
Mut, weil die TTIP-Bewegung zwar aus der Sorge um Einzelthemen entstanden ist,
gleichzeitig es aber – zumindest in Deutschland - gelungen ist, die Diskussion
um TTIP zu einer Diskussion über die undemokratische Grundordnung des
internationalen Handelsregimes werden zu lassen. Handelsabkommen, die
intransparent erarbeitet werden, sind genauso wenig neu wie demokratisch höchst
fragwürde Schiedsgerichte, die Sozial- und Umweltstandards bedrohen. Aber TTIP
hat diese Fehlentwicklungen und Gefahren aus den Fachpapieren der Handels-NGOs
erst in die Massenmedien und dann auf die Straße gebracht. Das ist gut und
wichtig, da die Verhinderung weiterer Handelsverträge wie TTIP, CETA und Co.
zentral ist, wenn wir überhaupt eine Chance haben wollen, den Einfluss privater
Interessen auf staatliches Handeln demokratisch zu begrenzen. Kurzfristig ist
eine Fokussierung auf „Abwehrkämpfe“ á la „STOP TTIP“ essentiell. Denn wenn
diese Kämpfe verloren gehen, wird noch mehr Macht für privatwirtschaftliche
statt gemeinwohlorientierte Interessen strukturell so verankert, dass eine
Re-Demokratisierung von Entscheidungen sehr, sehr schwer werden wird.
Aufbauend auf dem
Erfolg der TTIP-Kritik hätte ich mir auch eine gemeinsame, politische Antwort
der Zivilgesellschaft auf den VW-Skandal der letzten Monate gewünscht. Dazu bot
sich der Skandal an, da er nicht nur ein klassischer Fall ist, bei dem
Profitinteressen über die Interessen der Gemeinschaft gestellt wurden. Er ist
auch ein mustergültiges Beispiel dafür, wie die Politik sich vor den Karren
dieser Profitinteressen spannen lässt (und auch hier gibt es natürlich eine
Verquickung von Staat und Konzern). So war es nicht nur ein bekannter Skandal,
dass die EU-Abgasnormen nicht auf den tatsächlichen Emissionen im alltäglichen
Verbrauch von Fahrzeugen basieren. Die Antwort der Bundesregierung auf den
Skandal war noch dazu, in Brüssel noch
schwächere Abgasnormen zu fordern. Frei nach dem Motto: Wenn das Kind den
Test nicht schafft, dann ändern wir eben den Test. Leider schaffte es die
Zivilgesellschaft nicht, den VW-Skandal gemeinsam zu nutzen und zum poster child einer von Konzerninteressen
geleiteten Politik zu machen. Einige, am Geldhahn von VW hängend, fassten den
Konzern stattdessen mit Samthandschuhen an; andere arbeiteten zum Thema gar
nicht, da sie es „nur“ als technisches Autoemissionsthema ansahen. Und auch
Greenpeace stellte nicht die strukturellen Machtfragen in den Vordergrund,
sondern die – in der Tat skandalösen – gesundheitlichen Folgen der
verschleierten zusätzlichen Emissionen. Eine vertane Chance, denn VW, das
zeigen nicht zuletzt die Satiren in der heute
show und anderswo, ist so zentral in der medialen Öffentlichkeit in
Deutschland, dass man darüber viele Menschen hätte wachrütteln können. Oder ist
es dafür vielleicht doch noch nicht zu spät?
Aufbauend auf den
Fallbeispielen, die in dieser Publikation zusammen getragen wurden, sollten wir
als Zivilgesellschaft weiter gemeinsam und selbstkritisch diskutieren, wie wir
eine Gegenmacht zur corporate capture
aufbauen können. Das ist keine einfache Aufgabe, denn es gibt – Adorno möge mir
verzeihen - kein wahres NGO-Leben im von Konzernen dominierten Falschen. Aber
wir müssen diese Diskussion führen, wenn wir der Wirtschaft nicht kampflos alle
politische Macht überlassen wollen.
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